Man
kennt ihre Stimme von verschiedensten Sendungen auf DRS 1, 2 und 3. Fast
ein Vierteljahrhundert war sie für die radiointerne Sprechausbildung zuständig.
Jetzt macht sich Roswita Schilling mit dem Unternehmen
"Frauenstimme" selbständig. Sie will Frauen ermächtigen, sich
selbst und ihre Ansichten wirkungsvoller zu vertreten.
Roswita
Schilling erwartet mich vor ihrem Atelier in Arlesheim, hell und einladend
dank der riesigen Fensterfronten auf Nord und Südseite,
lichtdurchflutet selbst bei trübem Wetter. Die offene und grosszügige
Atmosphäre des Raums passt zu seiner Bewohnerin, die mich mit einer
Herzlichkeit empfängt, als wären wir alte Bekannte. Sie hat sich auf das
Interview gefreut und ist gut vorbereitet: "Bescheidenheit ist für
mich ein ganz besonderes Thema, weil ich selbst eine lange Geschichte der
Schüchternheit hinter mir habe", eröffnet Roswita Schilling das Gespräch.
"Ich war ein sehr introvertiertes Mädchen, wahrscheinlich das schüchtemste
Mädchen, das je an der Schauspielschule war." Gerade das aber war
verantwortlich für ihre Berufswahl. Sie wusste, dass dies ihr schwächster
Punkt war, und sie wollte ihn überwinden.
Auf
der Bühne konnte sich Roswita Schilling ausdrücken, wie sie es im
richtigen Leben nicht konnte. "Die Schauspielerei war sozusagen ein
Schutzschild, hinter dem ich mich verstecken konnte. Ich spielte alles,
von der Prinzessin bis zur feurigen Liebhaberin, sogar Prostituierte in
diesen Rollen konnte ich mich ausleben." Nach einigen Engagements
in der Schweiz ging sie in die Provinz, zu einer deutschen Landesbühne.
Dort war alle 14 Tage Premiere, sie spielte immer Hauptrollen, die
Regisseure viele Nachwuchstalente aus Ostdeutschland waren gut und die
Proben intensiv. Es war eine spannende Zeit, und Roswita Schilling
lernte viel. Nach eineinhalb Jahren aber wurde das Heimweh nach der künstlerischen
Auseinandersetzung und den Menschen in der Heimat stärker, und sie kehrte
nach Basel zurück. Dank ihrem vielseitigen Hintergrund war sie auch dort
gefragt, spielte in Theater und Film, erhielt Angebote vom Fernsehen.
Dann, 29jährig und unverheiratet, wurde sie schwanger. "Das war
eine schwierige Sache, mehr noch als heute galt das 1972 als
Skandal", erinnert sich Roswita Schilling. Nicht nur Kritik bekam
sie aber zu hören, sondern auch Bewunderung und Unterstützung. Für sie
selbst bedeutete die Geburt ihrer Tochter ein Bruch, der eine neue
Einstellung zu ihrem Körper und ihrer Rolle im wirklichen Leben herbei
führte: "Als allein erziehende Mutter konnte ich plötzlich nicht
mehr bescheiden sein, musste Platz einnehmen", meint sie heute."
"Die Verantwortung für meine Tochter zwang mich zur Flucht nach
vorn." Sie zog zu einer befreundeten Familie nach Zürich.
gegenseitig half man sich bei der l"inderbetreuung. Nach drei
weiterenjahren beim Theater dann die berufliche Neuausrichtung:
"Meine Tochter gab mir den Weitblick, zu erkennen, dass ich es nicht
mehr nötig hatte, mich hinter Rollen zu verstecken. Ich wollte mich
selbst einbringen." Mit dem Kind auf dem Arm stellte sich Roswita
Schilling im Radiostudio vor. Auf die Frage "Was können Sie?"
antwortete sie: "Sprechen". Ihr Glück war es, dass die
Ausbildung am Radio DRS gerade im Aufbau begriffen war. Der Ausbildungsleiter
prüfte sie und gab ihr den Auftrag, sich weiterzubilden. Da es in der
Schweiz keinen Lehrgang für Sprechausbilderlnnen gab, lernte sie
vorwiegend autodidaktisch. Und je mehr sie lernte, desto faszinierter war
sie vom Thema: "Ich sah immer mehr Zusammenhänge zwischen
"Reden und 'Sich Getrauen' das wollte ich vermitteln." 23 Jahre
lang ist sie bei Radio DRS geblieben, hat Sendungen moderiert und
NachwuchsjournalistInnen ausgebildet. Man kennt ihre Stimme vom
Regionaljournal, Kontext und verschiedensten anderen Sendungen, auch an
öffentlichen Veranstaltungen und Lesungen wirkt sie häufig und gerne
mit. Diese Bekanntheit ist eine Voraussetzung für ihr nächstes
Projekt: das eigene Unternehmen mit dem Namen "Frauenstimme".
Gründe
für den Schritt in die Selbstständigkeit gab es viele. Einerseits
empfand Roswita Schilling immer stärker, dass der wirtschaftliche Druck
beim Radio zu mehr Hierarchie, Gerangel und beruflichem Stress führte.
"Zu viel Druck macht die Stimme kaputt", sagt sie bestimmt,
"für Individualität, Experiment und Unbescheidenheit bleibt dann
wenig Raum." Ihre Arbeit wurde dadurch zunehmend unbefriedigend.
Im
letzten Herbst gab ein Gespräch mit Freundinnen einen weiteren Anstoss.
Die Sprache in den Medien käme ihnen immer perfekter und schneller,
dabei aber irgendwie vorfabriziert vor, bemerkten diese. Sie getrauten
sich gar nicht mehr, selbst öffentlich das Wort zu ergreifen, weil sie
ohnehin nicht würden mithalten können. Die Stimme als Machtinstrument,
das gesellschaftliche Ungleichheit schafft? Roswita Schilling ist davon
überzeugt: "Vor allem Männer auch
Politiker oder Manager legen sich eine 'Winner'Stimme zu, die enorm viel
Raum einnimmt." Zwar ist diese stimmliche Pose unecht, sie verhilft
aber trotzdem zu Autorität und Macht gerade im Verhältnis zu Frauen:
"Frauen sind dazu erzogen, wenig Raum einzunehmen, ladylike wird mit
zurückhaltend gleichgesetzt."
Leider
seien sich Frauen der Wirkung von Stimme und Sprache noch viel zu wenig
bewusst, hält Roswita Schilling fest. "Stimme ist Macht denken
Sie nur an die enorme suggestive oder auch erotische Wirkung, die eine
Stimme haben kann. Macht ist gut, wenn sie Grenzen setzt, ohne die Grenzen
anderer zu überschreiten." Genauso verhält es sich mit dem
Machtinstrument Stimme: Durch den selbstbewussten Gebrauch der Stimme
sollen Frauen den ihnen zustehenden Raum einnehmen, ohne den Raum
anderer zu verletzen. Nur so können Frauen ihre Gedanken und Gefühle in
der Gesellschaft stärker einbringen. Gerade in der Wirtschaft erscheint
ihr dies wichtig: Menschlichkeit, ökologische, soziale und ethische
Anliegen würden dann mit Sicherheit mehr Gewicht erhalten und das sei
dringend nötig.
Nach
23 Jahren beim Radio ist sie von den neuen Herausforderungen bei der
Arbeit mit UnternehmerInnen und Dozentinnen begeistert. Praxisbezogene
Fragen wie "was mache ich, damit der Stift auf dem Hellraumprojektor
nicht zittert?" oder "wie erreiche ich, dass meine Mitarbeiter
die Firmenziele nicht nur verstehen, sondern auch zur eigenen Sache machen?",
gehören zu den vordringlichsten Anliegen. Hierzu betont Roswita
Schilling, dass sie auf keinen Fall Sprechkosmetik betreiben will:
"Ich vermittle nicht Tipps und Tricks, wie man besser ankommt, ich
mache keine oberflächliche Verkaufsrhetorik. Was es braucht beim Reden,
ist nicht blosse Ästhetik, sondern eine eigenständige Haltung und
klares Denken." Konsequent orientiert sich deshalb ihre
Sprechausbildung am Grundkonzept des kommunikativen Dreiecks: Person Inhalt
Publikum.
Mit
einem geschärften Bewusstsein für Betonung, Pausen, Tempowechsel,
Satzmelodie und Klangfarbe, mit kurzen, einfachen Sätzen und übersichtlicher
Gliederung, mit offener Mimik und lebendiger Gestik lässt sich die
Aufmerksamkeit des Publikums wach halten. "Sprache muss attraktiv
sein, klar verständlich und keinesfalls langweilig Langeweile
ist das Schlimmste, das es gibt", meint Roswita Schilling. Zentral
ist bei alledem eine gute Atemtechnik. Probleme von Frauenstimmen
seien praktisch immer Atemprobleme, erklärt sie. Spannungen und Druck
beeinträchtigten die Atmung, dadurch komme es zu der gefürchteten erhöhten
Tonlage, zu Behauchung oder Atemlosigkeit. Diese Spannungen müssten
gelöst, die Seele, der Atem und die Stimme befreit werden. Nicht zuletzt
darum wird in ihren Stunden oft gelacht. "Sprechausbildung soll
entspannt, fröhlich und lustig sein sie muss gut tun."
Die
Technik des Sprechens macht aber nur einen Teil und
nicht einmal den wichtigsten Teil der Ausbildung bei Roswita Schilling
aus. Noch grösseres Gewicht hat der Inhalt des Gesprochenen:
"Ein Auftritt darf niemals zum Selbstzweck werden, man muss eine
Intention haben, wenn man spricht", sagt sie mit Nachdruck. Grossen
Raum im Ausbildungsprogramm nehmen deshalb die Vorbereitung, das
Strukturieren und Gewichten der Rede ein. Auch das Feedback der Lehrerin
oder der Gruppe ist wichtig: "Nur wenn sich die Intention mit der
Wirkung deckt, ist Sprache richtig."
Der
dritte Punkt im Kommunikationsdreieck ist das Publikum. Sprechen ist
"mitteilen", nicht zufällig eines der Lieblingsworte von
Roswita Schilling. Die Kunst des "Mitteilens" das
Ansprechen und Einbeziehen des Publikums bildet den dritten Schwerpunkt
der Sprechausbildung. Wie in den anderen Bereichen wird auch hier viel geübt,
um Selbstvertrauen zu gewinnen. Immer wieder proben die Teilnehmerinnen,
sicheren Schrittes zum Podium zu gehen, den Blick selbstbewusst ins
Publikum zu richten und dieses mit fester Stimme zu begrüssen. Statt
Lampenfieber sollen Frauen die innere Überzeugung haben: "Ich bin
da, ihr seid da, um mir zuzuhören und ich habe etwas zu sagen! "
Am
Klavier in Roswita Schillings Atelier hängt eine kopierte Seite aus
einem griechischen Wörterbuch:
1.
körperlich,
Zwerchfell, Atmungsorgan;
2. geistig,
Sinn, Seele, Geist; insbesondere Verstand, Einsicht, Gemüt, Herz, Wille.
Dass
die Kehle und die Seele ganz eng verbunden sind, glaubt Roswita Schilling
nicht nur wegen der alten Griechen, sondern auch aufgrund ihrer langiährigen
Erfahrung in der Sprechausbildung. Ein weiteres ihrer Lieblingsworte
heisst deshalb "Person", hergeleitet von "personare"
"durchklingen":
"Durch die Stimme offenbart sich Geistiges und Körperliches,
Gedanken und Gefühle; dadurch erst wird der Mensch zur ganzheitlichen
Person."
Umso wichtiger ist ihr, dass Frauen die Stimme als
Teil ihrer Persönlichkeit wahrnehmen und mögen: "Viele Frauen
haben ihre Stimme nicht gern", bedauert Roswita Schilling.
"Wie beim Aussehen orientieren sie sich an Idealbildern, die von den
Medien, und damit oft von den Männern, geprägt werden." Gemäss
geltenden Wertvorstellungen steht eine tiefe Stimme für Autorität und
Kompetenz, während höhere Tonlagen als emotional und weniger glaubwürdig
eingestuft werden. Dagegen wehrt sich Roswita Schilling energisch:
"Die Stimme ist das individuellste Merkmal jedes Menschen und
jede Stimme ist wunderschön, wenn man sie richtig einsetzt." In
ihren Kursen soll deshalb jede Teilnehmerin zuallererst den Grundton der
eigenen Stimme finden, annehmen und optimal nutzen. Erst anschliessend
werden tiefe und hohe Resonanzen als zusätzliche Stilmittel eingeübt,
wobei je nach Situation verschiedene Tonfarben betont werden können.
"Die Sprache ist ein Instrument. Das Instrument kann eine Geige oder
ein Kontrabass sein mit beiden lassen sich einmalige Melodien spielen."
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